In einem Buch habe ich mal gelesen, harte Zeiten seien gute Zeiten für die Starken. Vielleicht stimmt das, aber ich kann es nicht beurteilen. Dabei geht es mir vergleichsweise gut: Weder musste ich vor Krieg und Terror flüchten, noch lebe ich beständig am Existenzlimit. Ich darf mich als priviligiert bezeichnen und muss das auch. Das sollte sich, nebenbei bemerkt, jeder mal klar machen. Check your privileges! Trotzdem antworte ich momentan nicht mit „gut“ auf die Frage nach meinem Befinden. Das liegt zum Großteil an den andernorts schon erwähnten Diskussionen, die ich führen muss oder will, hervorgerufen unter anderem durch die sogenannte Flüchtlingskrise. Das muss ich der aktuellen Gemengelage zugute halten: Sie trennt die sprichwörtliche Spreu vom Weizen. Es liegt aber auch daran, dass ich in diesem Zusammenhang immer wieder zu hören kriege, ich würde ja „aber auch wirklich sehr aggressiv“ diskutieren und meinem Gegenüber wahlweise mit „Hass“ oder „Verachtung“ begegnen.
Das gibt mir natürlich zu denken, weil ich mich im Anschluss immer frage, ob ich wirklich so ein Monster bin. Habe ich vielleicht zu viel Battlerap gehört? Gehe ich deswegen an manche Diskussionen immer noch so heran, wie ich es früher beinahe ausschließlich getan habe? Da arbeitet es aktuell sehr stark in mir. Ich glaube aber immer noch, dass bestimmte Aussagen nicht unkommentiert hingenommen werden dürfen. Und ich glaube auch immer noch, dass rechtes Gedankengut keine Meinung, sondern ein Verbrechen ist. Dagegen will ich auch weiterhin vorgehen und dabei ist es mir auch – mit Verlaub – scheißegal, ob das nun „nur rechts“ oder wirklich schon rechtsradikal ist: Die Scheiße ist und bleibt eben braun, egal, wo genau sie liegt. Da mache ich nach wie vor keinen Unterschied, dafür bin ich selbst vielleicht einfach zu links. Worin ich keinerlei Problem sehe, im Gegenteil. Um es mit Sookee zu sagen: Ich finde es unanständig, nicht links zu sein.
Jedenfalls habe ich keinerlei Verständnis für Menschen, die ihre menschenverachtende Meinung nicht mal begründen können. Beziehungsweise für Leute, die ein geschlossenes, unveränderliches Weltbild besitzen, das nur auf Halbwahrheiten, Gerüchten und Hörensagen beruht. Oder auf angeblichen „Informationen“ von ominösen Verschwörungsblogs oder islamfeindlichen und selbsternannten Thinktanks. Ich habe die erklärte Absicht, mein Gegenüber von seiner derart entwickelten Meinung abzubringen und will solche Diskussionen gewinnen – ganz wie im Rap-Battle. Was mich anscheinend zu einem höchst unangenehmen Diskussionspartner macht, was ich durchaus nachvollziehen kann. Schließlich bin ich dann genauso starrköpfig wie meine Diskussionspartner, wenn nicht sogar noch schlimmer. Mir wurde vorgeworfen, ein „Meinungs-Nazi“ zu sein. In gewisser Weise mag das stimmen: Ich will die Meinung meines Gegenübers nicht stehenlassen oder akzeptieren. Das liegt für mich in der Natur der Sache, dass ich diese Meinung, die meiner Meinung nach ja keine Meinung ist, ändern will. Da beißt sich die Katze leider schon irgendwie in den Schwanz und es wird paradox: Ich verlange von meinem Diskussionspartner etwas, wozu ich selbst kein bisschen bereit bin. Die eigene Meinung zu ändern.
Aber wie gehe ich damit besser um? Meine Mutter fährt da die religiöse Schiene: „Gott hasst die Sünde, aber liebt den Sünder.“ Das fällt mir persönlich extrem schwer. Stattdessen regt mich das alles maßlos auf und ich werde sauer, was der Diskussion natürlich kein bisschen zuträglich ist. Das erzeugt ein Ohnmachts-Gefühl, wie auf der AfD-Demo beziehungsweise der Gegendemo, auf der ich kürzlich war. Kurzer Exkurs: Was tun? Blockieren geht nicht, weil die Polizei den rechten Spinnern dann einfach den Weg freiknüppelt und frei-Pfeffer-sprayt. Schlagen will ich mich auch nicht mit dem Stiernackenkommando der Nazi-Hools, die da mitlaufen, weil ich denen körperlich ganz klar unterlegen bin. Das Einzige, was bleibt, ist wohl, Präsenz zu zeigen. Was aber leider total frustrierend ist, wenn nur so wenige Menschen mobilisiert werden können und die meisten Medien so darüber berichten, wie sie eben berichten: Mit Zahlen, die auf den Schätzungen der Polizei beruhen. Bei den Diskussionen in meinem persönlichen Umfeld macht sich bei mir ebenfalls immer mehr Ratlosigkeit breit. Was tun? Und wie?
Ich habe es mit rationalen Argumenten versucht. Ich habe es damit versucht, die Ängste und Sorgen meiner Mitmenschen ernst zu nehmen. Ich habe versucht, zu ergründen, wo genau das Problem liegt und wovor die Leute wirklich Angst haben. Aber wenn das alles nichts bringt beziehungsweise zu nichts führt, was dann? Meinen Arbeitskollegen ignoriere ich mittlerweile einfach. Ich werde auf seine Provokationen nicht mehr reagieren, und das scheint auch einigermaßen zu funktionieren. Zumindest sieht er damit recht unglücklich aus und ich spare so viel Zeit und Energie. Aber auch eine Person, die ich früher als guten Freund bezeichnet habe, hat mir mittlerweile die Facebook-Freundschaft gekündigt. Weil ich meine letzte Brandrede/Linksammlung auf Facebook gepostet und ihn darin verlinkt habe. Es reiche ihm jetzt mit meiner „linksradikalen Scheiße“ und ich sei „dismissed“. Für mich war das nicht nur die Freundschaft auf Facebook und gleichzeitig ein Armutszeugnis. Er sieht das aber wahrscheinlich ganz anders, zumindest, was das Armutszeugnis angeht. Das macht mir schon zu schaffen.
Ich weiß noch nicht, ob es eine gute Art und Weise gibt, mit all dem umzugehen. Den Kampf um die Deutungshoheit will ich trotzdem keinesfalls aufgeben. Ich glaube, das ist das Mindeste, was ich tun kann: Immer etwas zu sagen, wenn jemand dummes, rechtes Geschwätz von sich gibt. Und meine kleine Reichweite hier und in den sozialen Netzwerken nutzen, um vielleicht den einen oder die andere doch noch überzeugen zu können. Mit Sinn, Verstand und Argumenten. Ich will die sprichwörtliche Flinte noch nicht ins Korn werfen, auch wenn das alles anstrengend und mühsam ist. Vielleicht muss ich aber an mir und meiner Art zu Diskutieren arbeiten. Denn, um noch einmal Sookee zu bemühen: Nazis sind nicht zwingend dumm. „Nazis raus!“ brüllen kann auch nicht das Wahre sein, wenn ich doch eigentlich Bleiberecht für alle fordere. Nazis sind aber in jedem Fall schlecht informiert. Damit kann ich arbeiten, da kann ich ansetzen, zumindest vielleicht – und wenn mein Gegenüber bereit ist, sich darauf einzulassen. Dafür muss ich mich aber wohl oder übel auch auf den Menschen einlassen, der mein Gegenüber ist – so schwer mir das auch fällt. Und dafür brauche ich einen kühlen, emotionslosen Kopf, selbst dann, wenn mein Diskussionspartner selbst nur mit Emotionen argumentiert.
Wie auch immer: Im Folgenden gibt es noch ein paar Links zu der Thematik, die ich lesenswert finde. Vielleicht kann sie ja jemand gebrauchen. Insbesondere jetzt, wo in Paris diese schrecklichen, grausamen Dinge geschehen sind, gilt es, keine Angst zu haben, weiter zu machen, sich nicht entmutigen zu lassen, zu unterscheiden, nicht zu verallgemeinern und keine ganzen Religionsgemeinschaften in Sippenhaft zu nehmen. Ich hoffe, dass diese Worte mehr bringen, als einfach nur mein Profilbild einzufärben. Oder Hashtags wie #prayforparis zu posten. Denn ich glaube, was wir brauchen, ist definitiv nicht noch mehr religiösen Bullshit. Da unterscheide ich übrigens auch nicht zwischen den unterschiedlichen Religionen. Jede von denen wird missbraucht und erzeugt dann unvorstellbares Leid. Egal wann, egal wo. Ganz nebenbei: Es gibt eine Studie, die herausgefunden hat, dass religiös erzogene Kinder weniger bereitwillig ihre Sticker mit anderen Kindern teilen, als nicht-religiös erzogene. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ob da ein kausaler Zusammenhang besteht, weiß ich nicht, darüber sagt die Studie auch nichts aus. Es gibt mir trotzdem zu denken.
Fangen wir mit einem Star Wars-Zitat von Meister Yoda an. Von wegen besorgte Bürger, meine persönliche Wut und die Ängste ernst nehmen:
Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.
Der ach-so-tolle Party-Patriotismus, den ich zu den Fußballweltmeisterschaften schon scheiße fand, könnte gut und gerne mitverantwortlich für die ganze AfD- und PEGIDA-Kacke sein, die wir momentan erleben:
http://www.taz.de/Die-Maer-vom-guten-Deutschland/!5246551/
Die Polizei Sachsen behandelt „Ausländer“ wie Bürger zweiter Klasse. Überraschung! http://www.nerdcore.de/2015/11/10/polizei-sachsen-kein-%C2%A7153a-stpo-fuer-auslaender/
Ehemalige AfD-Mitglieder stellen fest, was für ein Monster sie erschaffen haben: http://www1.wdr.de/themen/politik/afd-westpolbeitrag-100.html
Zur AfD-Demo: https://www.freitag.de/autoren/thomas-matzka/afd-verlierer-auf-maertyrerkurs
Sehr erhellender Beitrag zur Diskussion um unabhängige Medien und die so oft bemühte, angebliche „Lügenpresse“: https://www.freitag.de/autoren/gedankenprotokolle/der-ungleiche-meinungskampf
Zu der Aussage eines AfDlers, an den deutschen Landesgrenzen solle notfalls geschossen werden: http://www.zeit.de/kultur/2015-11/afd-fluechtlinge-kiyak-deutschstunde/komplettansicht
Sascha Lobos höchst interessanter Kommentar zur Diskussionskultur im Netz: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/internet-kommentare-immer-her-mit-der-nazikeule-kolumne-a-1062231.html
Nicht die Kriminalität, die von Geflüchteten ausgeht, ist angestiegen, sondern die, die sich gegen sie richtet: http://www.tagesschau.de/inland/fluechtlinge-kriminalitaet-101.html
„Die deutschen Einzelhändler rechnen in diesem Jahr auch wegen eines gutes Weihnachtsgeschäft und der starken Zuwanderung mit dem stärksten Wachstum seit zwei Jahrzehnten.“ Deutschland profitiert also von der angeblich so schlimmen, sogenannten „Flüchtlingskrise“: http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/weihnachtsgeschaeft-umsatzplus-durch-fluechtlinge-erwartet/12583234.html
„Die CSU instrumentalisiert die Attentate, um Ängste gegen Flüchtlinge zu schüren.“ Traurig, war aber leider abzusehen: https://www.taz.de/Nach-der-Anschlagserie-in-Paris/!5251353/
„Der größte Feind des islamistischen Terrorismus ist die Willkommenskultur“: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-11/terrorismus-paris-anschlaege-europa
„Viele Libanesen solidarisieren sich mit den Opfern der Pariser Attentate, dabei sind sie selbst im Visier der Terroristen. Wieso ist die Anteilnahme oft so einseitig?“ Wir alle sind nicht nur Frankreich, sondern auch Beirut, Moskau, Madrid, Somalia usw. usf.: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-11/beirut-paris-anschlaege-terror-solidaritaet
„Über die Haltung der deutschen Gesellschaft und das Verhältnis von Religion und Terrorismus“: https://www.freitag.de/autoren/franzhausmann/das-hat-nichts-mit-religion-zu-tun
Und, was leider auch klar war, aber zu nichts führen wird: „Polizei ruft nach erweiterter Vorratsdatenspeicherung“ http://www.heise.de/newsticker/meldung/Pariser-Anschlaege-Polizei-ruft-nach-erweiterter-Vorratsdatenspeicherung-2921757.html
Nochmal der Dauerbrenner NSU-Prozess: http://www.zeit.de/2015/44/nsu-prozess-wut
Und zu guter Letzt noch etwas Schönes zum Titel dieses Beitrages: https://www.youtube.com/watch?v=IKXqeI5MWcI
Das Titelbild habe ich von hier, was aber leider nicht der Originallink ist: https://www.facebook.com/photo.php?fbid=10153573260612741&set=p.10153573260612741&type=3&theater
Anzumerken bleibt vielleicht noch, dass es sicherlich nicht nur, aber auch, der „Kampf um die Deutungshoheit“ ist, der den ständigen Kampf zwischen links und rechts befeuert. Und dass es oftmals weniger um Inhalte geht als um Zugehörigkeit.
Das heißt nicht, dass es nicht notwendig ist, Position zu beziehen, wenn menschenfeindliche Inhalte verbreitet werden.
Die Frage wie man das tut ist dabei aber durchaus sehr bedeutsam. Sieht man das ganze als einen „Kampf“ und möchte mit seiner Meinung „gewinnen“, dann gräbt man damit oftmals fleißig weiter an dem Graben, der beide Lager trennt.
Um sich selbst zu verändern braucht es Erlebnisse und daraus resultierende Selbsterkenntnis. Wäre dem nicht so, hätten wir alle in der Jugend auch einfach die Meinungen unserer Eltern zu unserer eigenen machen können und darauf verzichten können, unsere Meinung aus eigenen Erfahrungen selbst zu bilden. Und das erreichen wir nicht dadurch, dass wir dem Diskussionspartner „beweisen“ was für ein Trottel oder uninformierter Idiot er ist.
Informieren ohne zu entwerten wäre ein Weg. Auch wenn das sicherlich nicht einfach ist…